Das Lebende lebendiger werden lassen

Der Mensch ist Teil, oder besser: Beteiligter einer im Grunde lebendigen Natur. Die Bedingungen des Friedens spiegeln sich in den Grundprinzipien der Natur, wie sie in der Evolution des Lebens in dreieinhalb Milliarden Jahren unserer Erdgeschichte zum Ausdruck kommen. Es sind die Erfordernisse für Nachhaltigkeit. Was heißt nachhaltig? Nachhaltig ist, was nachhält, was überlebt! Es ist das Evolutionsprinzip des Lebendigen. Nachhaltigkeit ist, was der deutsche Ausdruck kaum suggeriert, ein dynamischer Begriff, der in der englischen sustainability als ability, als ein Können, besser aber immer noch unzureichend anklingt.

Nachhaltigkeit heißt mehr: Das Lebende lebendiger werden lassen! Es nennt keine Patentrezepte, wie dies anzustellen sei. Es fordert nicht, bestimmtes Dies und Das zu tun, um Zukunft besser sichern zu können. Die Zukunft ist wesentlich offen, prinzipiell unbestimmt. Es gibt deshalb keine eindeutigen Vorgaben für eine Optimierung, außer ganz allgemein die Aufforderung, die Zahl möglicher Optionen zu vermehren suchen. Dies weist in Richtung auf Differenzierung, um die Gestaltungsräume aufzuweiten und einer kooperativen Integration des Verschiedenartigen, die aus einem erfolgreichen Plus-Summen-Spiels resultiert.

Auf den Menschen bezogen erfordert dies – positiv – gewisse Formen der Lebenshaltung der Einzelnen und ihres Lebensstils im Zusammenwirken mit Anderen: Empathie, Liebe, Aufmerksamkeit, Umsicht, Vorsicht, Nachsicht. Dann Lebendigsein: kreativ, spielfreudig, „com-petitiv“ (im ursprünglichen Sinne des Wortes = „zusammen“ nach Lösungen suchend), fair, solidarisch, doch „einzigartig“, konstruktiv anders, also mehr komplementär ergänzend als gleich seiend. Diese Formen bilden die Voraussetzungen für ein konstruktives Zusammenspiel, bei dem das neue Ganze mehr wird als die Summe seiner Beteiligten.

Als Ergebnis entsteht nicht einfach ein vergrößertes Spiel, sondern ein komplexes Geflecht vieler und vielfältiger, in einander verschlungener Spiele, die irgendwie gelernt haben, auf unterstützende Weise koexistieren zu können. Eben die Milliarden von verschiedenen, synergetisch komplex miteinander verflochtenen Lebensformen unseres irdischen Biosystems, die jede für sich gelungene Spiele darstellen, und nicht etwa nur 15 von ihnen, entsprechend der Anzahl transnationaler Großkonzerne, denen, aufgrund ihrer Null- und Negativ-Summen-Spiele (mit Gewinnern und Verlierern und im Extremfall: „the winner takes all“), unsere globale Wirtschaft zustrebt.

Alle dürfen mitspielen

Der fast unbegrenzten Vielzahl von Positiv-Möglichkeiten einer zukünftigen Gestaltung, müssen jedoch einige wenige Negativ-Regeln als notwendige Voraussetzungen gegenüberstehen, welche die Rolle von „killer conditions“ spielen und deshalb als „Tabus“ gelten müssen. Sie sollen dafür sorgen, dass die äußeren Voraussetzungen für ein solch faires Zusammenspiel (keine Zerstörung oder „Kippen“ des Spielfeldes, kooperative Spielregeln) gewahrt bleiben und niemand prinzipiell vom Spiel ausgeschlossen wird.

Diese Einschränkungen sind nötig, um die durch die Differenzierung entstehenden Ungleichgewichte durch Ausgleichsprozesse auf einer höheren Ebene wieder in ein dynamisches Gleichgewicht zu bringen. Der Evolutionsprozess des Lebens ist keine Kreisbewegung, sondern vollzieht sich in Form einer Aufwärts-Spirale, die als Antrieb Kreativität erfordert. Differenzierung benötigt Kreativität. Kreativität ist wesentlich frei, wirkt aber nicht willkürlich, sondern ist tendenziell befangen. Insbesondere ist die kooperative Integrationsfähigkeit durch die im Grunde angelegte „Verbundenheit“ vorgeprägt. Die Integration, und diese entspricht in der menschlichen Zivilisation dem Friedensprozess, gelingt als Kooperation nur durch das gewissermaßen „geistig“ vermittelte wechselseitige Gewahrsein oder eine Art Rückbesinnung auf die fundamental angelegte, unauftrennbare Gemeinsamkeit – „alle“ sitzen, besser: alles sitzt letztlich im selben Boot.

Der kooperative Integrationsprozess, der „Friedensprozess“, bedeutet nicht ein Prozess zurück zur anfänglichen undifferenzierten Einheit, sondern ein Prozess, der die durch Kreativität erlangte differenzierte Vielfalt auffängt und schützt, denn nur so gelingt eine Erweiterung des Raumes zur Gestaltung eines neuen umfassenderen Ganzen. Dies praktizieren wir ja auch in der Forderung einer Individualisierung im Sinne eines Protektionismus, der „die Würde des Menschen“ für „unantastbar“ erklärt.

Es wäre nur folgerichtig, dies auch sinngemäß auf größere Einheiten, wie die vielen heute existierenden, gewachsenen Kulturen, auszudehnen. Eine über den jetzigen Stand hinauswachsende Weltkultur kann nur durch einen konstruktiven Zusammenschluss, eine Symbiose, der verschieden ausgeprägten Einzelkulturen entstehen, wenn hierbei keine Gleichschaltung passiert, was einem Rückfall entspräche oder sogar in eine Abwärts-Spirale ausartet, die zur mächtigen Einfalt führt. Der Erfolg der konstruktiven Integration des Differenzierten, der Friedensprozess, ist der entscheidende Schritt in der Evolution des Lebens zu einem noch Lebendigeren, im Sinne einer größeren Offenheit und Gestaltungsfreiheit und auf höherer Ebene zur Ausbildung eines (hellen) Bewusstseins und seiner fortschreitenden Vertiefung.

Immer schneller, immer mehr

Die augenblickliche Entwicklung der Menschheit tendiert immer mehr dazu, die meisten Menschen vom kreativen Prozess auszuschließen und ihnen im Wesentlichen nur noch Kopierfunktionen von Vorgegebenem zu übertragen. Sie werden dadurch ihrer Menschenwürde beraubt und zu minderwertigen Computern degradiert, die im Vergleich zu diesen wesentlich langsamer, vergesslicher und unzuverlässiger arbeiten, dazu nicht jederzeit einsatzfähig und abrufbar sind und vor allem viel teurer sind, was sie letztlich und langfristig real ganz überflüssig werden lässt.

Arbeitslosigkeit! Der Mensch letztlich als Wegwerfprodukt. Die immer größere Beschleunigung aller Zivilisationsprozesse verstärkt dazu in steigendem Maße die Verdrängung jeglicher Kreativität, die Mindestzeiten benötigt – wenn sie nicht zu einem Schuss ins Blaue verkommen soll, was ein Zufallsgenerator schneller und abwechslungsreicher bewerkstelligt – und die sich immer stärker ausprägende zentrale, militärische Steuerung globaler Prozesse führt zu einer (entropischen) destruktiven Integration, welche letztlich einem Ausstieg der Menschheit aus dem Evolutionsprozess des Lebens herbeiführen wird. Dieser Abstieg und letztlich Ausstieg wäre nichts Unnatürliches, sondern repräsentiert wohl auch das in der Evolution der Spezies Wahrscheinlichere.

Das Deprimierende daran ist doch, dass dieses Versagen gar nicht auf ein Frühversagen des heutigen, geologisch betrachtet, noch relativ jungen homo sapiens sapiens deutet – einen Menschen, den wir in der Mehrheit wegen seines hellen Bewusstseins und den daraus entspringenden wunderbaren Gaben, ungeachtet seiner Unzulänglichkeiten, würdigen und lieben gelernt haben – sondern dieses Versagen von einer so kleinen Minderheit der Menschheit auf so „teuflische“ Weise erfolgreich ins Werk gesetzt werden kann.

Doch auch dafür kennen wir andere Beispiele im Bereich des Lebendigen, so wie ein Krebsgeschwür, auf schnelles Wachstum, Vermehrung seiner Zellen, anstatt auf Differenzierung und Kooperation ausgerichtet, hemmungslos gesundes, differenziertes und organisch integriertes Gewebe verschlingt, um dann aber letztlich, zusammen mit dem Wirtssystem, zugrunde gehen zu müssen.

Gibt es in diesem Falle überzeugende Möglichkeiten der Heilung? Wir wissen es nicht. Es wird jedoch entscheidend sein, das Augenmerk auf den Anfang der Erkrankung zu richten. Nicht nur in den äußeren und inneren Ursachen der Neubildung bösartiger Krebszellen und ihrer Vermehrung liegt das Problem, sondern auch in der Schwäche eines Abwehrsystems (des Immunsystems unseres Körpers) mit diesen im Anfangsstadium schnell genug fertig zu werden. Das heißt wohl mehr gesündere Lebensweisen, die das Gesamtsystem stützen, als spezifische, körperfremde, lokale Eingriffe von außen.

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