Geburtenkontrolle für Energiesklaven
Unsere menschlichen Aktivitäten werden aus einer Reihe von Energiequellen gespeist. Als praktisch zeitlich unbegrenzte Energieressource, gewissermaßen als ständiges Energie-Einkommen, steht uns nur die täglich von der Sonne zugestrahlte arbeitsfähige Energie mit einer Leistung von 178.000 Terawatt zur Verfügung. Von der enormen abgestrahlten Sonnenenergie fällt nur ein winziger Bruchteil auf die Erdoberfläche ein, nämlich etwa zwei Kalorien pro Minute und Quadratzentimeter oder 1,35 Kilowatt pro Quadratmeter. Das entspricht etwa 1.000 Liter Erdöl pro Jahr und Quadratmeter.
Die meisten Menschen verbinden mit den Kennzahlen der Energie wie Kilowatt oder Joule keine konkreten Vorstellungen. Ich arbeite daher lieber mit dem Bild des „Energiesklaven“. Eine „Sklavenstärke“ ist hierbei ein Viertelpferdestärke. Diese Umrechnung habe ich aus einer Erfahrung nach dem Kriegsende abgeleitet, als viele Bauern ihre Ackerpferde durch Tieffliegerangriffe verloren hatten und vier kräftige erwachsene Männer nötig waren, um gemeinsam eine Pflug zu ziehen. Das taten sie allerdings nur für jeweils kurze Zeit und mussten dann verschnaufen. Eine solche Viertelpferdestärke (=Energiesklavenstärke) entspricht etwa 200 Watt, was recht hoch gegriffen ist, wenn man dies mit einem Profi im Fitnesscenter vergleicht, der vielleicht eine Stunde lang 170 Watt wegstrampeln kann.
Die Sonne schickt uns unentwegt 450 Milliarden Energiesklaven, um das ganze Biosystem zu stabilisieren und einen Kollaps der fragilen Konstruktion zu verhindern. Was kommt nun durch den Menschen hinzu, indem er durch die Nutzung fossiler Energien die Sonnenergie vergangenen Zeiten zusätzlich in das Biosystem einbringt?
Wir Menschen verstärken unsere schwachen Körperkräfte durch eine Vielzahl kraftvoller Maschinen die arbeitsfähige Energie. Der Bedarf an Energie steigt weltweit immer weiter an. Allein in der Zeit von 1971 bis 2008 hat er sich mehr als verdoppelt. Wenn wir die Primärenergie, die wir benötigen, umrechnen, dann beschäftigen die jetzt sechseinhalb Milliarden Menschen etwa 140 Milliarden Energiesklaven weltweit. Das ist knapp ein Drittel der Energiesklaven, die die Sonne zur Stabilisierung des ganzen Biosystems benötigt. Beobachtungen über die Robustheit unseres Biosystems etwa hinsichtlich der Veränderungen seiner Artenvielfalt legen jedoch nahe, dass die maximale Belastung des Biosystems durch unsere Eingriffe bei weniger als einem Viertel der Stabilisierungsleistung der Sonne, also etwa bei 100 Milliarden Energiesklaven, liegt. Wir liegen also bei unserer jetzigen Belastung bereits über der Belastungsgrenze unseres Biosystems, was sich auch schon in einer beängstigenden Schrumpfung der Artenvielfalt anzudeuten scheint.
Konkret heißt die Frage daher nicht: Wie viele Menschen können auf dieser Erde leben? Sondern: Wie viel Energie dürfen wir Menschen für unsere Zwecke maximal umsetzen oder wie viele Energiesklaven dürfen von uns maximal eingesetzt werden? Die über sieben Milliarden Menschen sind nämlich dabei gar nicht das Maß. Es sind vielmehr ihre 140 Milliarden Energiesklaven. Aber wo sind eigentlich diese Energiesklaven? Im Schnitt hat ein US-Amerikaner 110 Energiesklaven, wir in Mitteleuropa haben 60, die Chinesen haben (noch) zehn, die Inder sechs, in Bangladesch hat jeder nur einen und die Afrikaner pro Person nur einen halben Energiesklaven (Stand 2000). Zusammen kommen wir auf die 140 Milliarden Energiesklaven, wobei die Verteilung offensichtlich sehr ungleich ist.
Zukunftsfähig leben
Wenn wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährden wollen, müssen die reichen Länder im Norden Energiesklaven an die armen Länder im Süden abgeben, um ihnen einen höheren Lebensstandrad zu ermöglichen. Die Devise muss lauten: „Strikte Geburtenkontrolle der Energiesklaven!“ Dies bedeutet praktisch, dass eine Geburtenkontrolle der „liebsten Kinder der Industrieländer“, nämlich ihrer Autos, sogar noch höhere Priorität erhalten muss als die biologische Geburtenkontrolle in den Entwicklungsländern.
Es geht also um die Stabilitätsfrage und deshalb stehen wir aus meiner Sicht vor folgender großen Herausforderung: Wie sehen Lebensstile aus, die die Tragfähigkeit des Biosystems nicht überfordern, damit deren dynamische Stabilisierung erhalten bleibt und der gesamte Einsatz von 100 Milliarden Energiesklaven nicht überschritten wird? Bei sechseinhalb Milliarden Menschen auf der Erde heißt das: Pro Person 15 Energiesklaven und nicht mehr! Wenn alle nur 15 Energiesklaven haben sollen, müssen die einen abspecken, und die anderen dürfen noch zulegen. Für die US-Amerikaner bedeutet dies die Reduktion auf ein Achtel dessen, was sie gegenwärtig erbrauchen, wir in Europa müssen auf ein Viertel reduzieren, die Chinesen hingegen dürfen (noch) etwas mehr verbrauchen und die Inder sogar knapp dreimal so viel wie bisher.
15 Energiesklaven pro Erdenbürger: Das ist übrigens eine Begrenzung, die mit der Ressource an sich nichts zu tun hat, sondern nur noch einmal auf die Stabilisierung des Systems verweist, in das wir eingebettet sind. Wir müssen daher Lebensstile entwickeln, die im Mittel mit 15 Energiesklaven pro Person möglich sind. Das ist kein Leben in Sack und Asche, sondern entspricht dem Lebensstil zum Beispiel eines Schweizers Ende der 1960er-Jahre (wobei wir die heute mögliche Verdopplung der damaligen Effizienz angenommen haben). So schlecht war das damals nicht. Hier in Europa auf Faktor vier oder drei herunterzukommen, ist daher keineswegs unmöglich. Wir könnten mit wesentlich weniger Energiesklaven als derzeit auskommen. Die hampeln eigentlich nur in der Weltgeschichte herum und machen deutlich, was wir unsinnig und ineffizient an Energie vergeuden.
Effizienz ist jedoch nur die eine Sache, Konsistenz ein zweiter Faktor, der die zeitliche Abfolge der Energieverwendung, die Logistik unseres Energieverbrauchs beschreibt. Aber es gibt eben noch einen dritten Faktor, der den Kern unseres Lebensstils betrifft: die Suffizienz, die fragt: Wie viel ist genug? Wenn wir fordern, dass 15 Energiesklaven gleich 1,5 Kilowatt pro Person ausreichen, dann ist das bei weitem nicht nahe der Existenzgrenze. Das Minimum, das wir täglich brauchen, sind 50 Watt gleich 1.200 Kilokalorien. Die Grenze, die wir einhalten müssten, bedeutet immerhin dreißig Mal so viel wie für unsere Existenz notwendig ist.
Mit anderen Worten: Eine Lösung dieser Aufgabe ist nicht unmöglich. Wir müssen Lebensstile innerhalb dieser erforderlichen Grenzen entwickeln, die nicht nur lebbar, sondern in vollem Umfang auch lebenswert sind. Es reicht daher nicht aus, nur die großen ökologischen Bedrohungen in der Zukunft deutlich zu machen. Die Angst davor kann zu Kapitulation, Lähmung und Verdrängung der Problematik führen. Wir brauchen heute ganz dringend Entwürfe für positive, in vollem Sinne lebenswerte, ökologisch nachhaltige Lebensstile. Es gibt solche Entwürfe, und deshalb wird auch ein Wandel nicht ausgeschlossen sein. Wir müssen diesen Wandel nur wirklich wollen. Alle sind dazu aufgefordert, dabei mitzudenken, ihn mitzugestalten und vor allem, ihn „katalytisch“ richtig auf den Weg zu bringen.