Christian Ude
Landeshauptstadt München
Oberbürgermeister

Das Ehrenbürgerrecht

Mit großen materiellen Vorteilen ist die Verleihung des Ehrenbürgerrechts zwar nicht verbunden: Es berechtigt zur unentgeltlichen Benutzung der öffentlichen Verkehrs-mittel, dazu gibt es Einladungen zu städtischen Veranstaltungen und den freien Zugang zum Ehrenbürgerzimmer im Turm des Alten Münchner Rathauses.
Im Übrigen werden die Namen der Münchner Ehrenbürger und -bürgerinnen auf den Ehrentafeln im oberen Foyer des Alten Rathauses eingetragen.

Ansonsten aber ist das Ehrenbürgerrecht eher ein „Titel ohne Mittel“.  Gleichwohl ist es die höchste Auszeichnung der Stadt überhaupt, ist ausschließlich Persönlichkeiten vorbehalten, die sich in ganz besonderem Maß um das Wohl der Stadt verdient gemacht haben.
Seit 1820 hat die Stadt München bislang nur 48 mal das Ehrenbürgerrecht verliehen. Schon das zeigt, wie hoch hier die Messlatte liegt, um in den Kreis der Auserwählten aufgenommen zu werden. Entsprechend hochkarätig ist die Reihe derer, denen diese Ehre in den vergangenen 188 Jahren zuteil wurde.

Darunter Baumeister wie Leo von Klenze, Gabriel von Seidl, Georg von Hauberrisser und Prof. Otto Meitinger; Mediziner wie Johann Nepomuk von Nußbaum und Hugo von Ziemssen; Komponisten und Dirigenten wie Franz Lachner, Richard Strauss, Carl Orff, Werner Egk, Hans Knappertsbusch und Sergiu Celibidache; Wegbereiter des technischen Fortschritts wie Oskar von Miller, der Pionier der Stromversorgung und Gründer des Deutschen Museums; Forscher und Wissenschaftler wie Justus von Liebig, der Begründer der chemischen Wissenschaft in unserer Stadt, oder Max von Pettenkofer, der Begründer der wissenschaftlichen Hygiene; ferner die bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner, Hans Ehard, Alfons Goppel und Franz Josef Strauß; die Münchner Oberbürgermeister Wilhelm von Borscht, Eduard Schmid, Thomas Wimmer, Hans-Jochen Vogel und Georg Kronawitter.

Und natürlich auch die beiden bislang einzigen Frauen, die als Münchner Ehrenbürgerinnen mit der höchsten Auszeichnung der Stadt bedacht worden sind: Dr. Hildegard Hamm-Brücher und Charlotte Knobloch.

Heute nun kommt mit Prof. Hans-Peter Dürr eine weitere Persönlichkeit hinzu, der für ihre besonderen Verdienste um München das Ehrenbürgerrecht verliehen wird.

 

Hans-Peter Dürr

Er ist damit der 49. Ehrenbürger, dem die Stadt auf diese Weise ihre Reverenz und Anerkennung erweist.

Dabei beschränkte und beschränkt sich sein verdienstvolles friedenspolitisches, ökologisches und zivilgesellschaftliches Wirken beileibe nicht nur auf München.

Prof. Hans-Peter Dürr war und ist ja in unglaublich vielen nationalen und internationalen Organisationen und Netzwerken aktiv, die sich für ein friedliches Zusammenleben und die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen einsetzen. Dazu zählen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, so namhafte Institutionen wie der Club of Rome, die Pugwash Conferences on Science and World Affairs und die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, der deutsche Zweig des internationalen Pugwash-Netzwerks; dazu zählen Greenpeace Deutschland und die nach der Tschernobyl-Katastrophe von ihm mit initiierte Gruppe „David gegen Goliath“; dazu zählt Global Challenges Network, eine international arbeitende, hoch angesehene Umweltorganisation mit Sitz in München, die von Prof. Hans-Peter Dürr 1987 gegründet wurde und deren Vorstand er nach wie vor ist; und dazu zählt beispielsweise – fast möchte man sagen: natürlich – auch das im vergangenen Jahr erst in Hamburg ins Leben gerufene World Future Council.

Noch um ein Vielfaches umfangreicher als die lange Reihe seiner Mitgliedschaften und Ehrenmitgliedschaften in nationalen und internationalen Organisationen ist das publizistische Werk von Prof. Hans-Peter Dürr:

Über 100 Veröffentlichungen hat er zu Themen seiner Forschungsgebiete, der Kernphysik, Elementarteilchenphysik und Gravitation verfasst; und darüber hinaus mehr als 300 Veröffentlichungen zu Themen seiner weiteren Arbeitsgebiete, zu Aspekten der internationalen Zusammenarbeit, zur Verantwortung des Wissenschaftlers, zu gesellschaftspolitischen, philosophischen und erkenntnis-theoretischen Fragen, zu Abrüstung und Friedenssicherung, Ökologie und Ökonomie, zu den Herausforderungen einer nachhaltigen Energiepolitik und anderem mehr.

Dazu gehören auch die Potsdamer Denkschrift und das Potsdamer Manifest, die Prof. Hans-Peter Dürr zusammen mit Daniel Dahm und Rudolf zur Lippe im Einsteinjahr 2005 vorgelegt hat; ein Anstoß zu neuem Denken, der an das 50 Jahre zuvor veröffentlichte Russell-Einstein-Manifest anknüpft, und von zahlreichen namhaften Wissenschaftlern und Persönlichkeiten aus aller Welt, u. a. auch von über 20 Trägern und Trägerinnen des Alternativen Nobelpreises unterzeichnet wurde.

Ein schier endloses Arbeitsfeld weist schließlich auch die Liste der von Prof. Hans-Peter Dürr gehaltenen Vorträge aus. Sage und schreibe über 1.000 kamen da seit 1970 zusammen, über 70 waren es allein im vergangenen Jahr. Für viele davon ist Prof. Hans-Peter Dürr auf Reisen ins In- und Ausland gegangen, viele aber hat er auch hier in München gehalten, so z. B. immer wieder auch im Rahmen der Internationalen Münchner Friedenskonferenz, der Gegenveranstaltung zur alljährlichen Sicherheitskonferenz.

Doch nicht nur das unterstreicht den engen Bezug des kosmopolitischen und weltweit geachteten Wissenschaftlers, Friedens- und Nachhaltigkeitsaktivisten Hans-Peter Dürr zu seiner Wahlheimatstadt München. Und davon zeugt auch nicht nur seine enge familiäre Verbundenheit mit unserer Stadt, in der schon sein Großvater Emil Kraepelin als Psychiater erfolgreich gearbeitet hat.

Hier in München hat sich Prof. Hans-Peter Dürr – nach dem Physikstudium in Stuttgart und der Promotion bei Edward Teller an der University of California in Berkeley – 1962 habilitiert. Hier war er 18 Jahre lang, von 1958 – 76, als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Werner Heisenberg tätig und stand danach viele Jahre als Geschäftsführender Direktor an der Spitze des Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik und des Werner-Heisenberg-Instituts für Physik. Und gerade hier in München hat er weit über den Tellerrand seines wissenschaftlichen Arbeits- und Forschungsgebiets hinaus vor allem auch eines gezeigt: dass der Grundsatz „global denken – lokal handeln“ wirkungsvoll in die Tat umgesetzt werden kann.

„Wer bei Edward Teller, dem Erbauer der Wasserstoffbombe gearbeitet hat“, so stellte er in diesem Zusammenhang fest, „der wird wohl nie mehr der Meinung sein können, die Verantwortung eines Wissenschaftlers reiche nur so weit wie sein Forschungsgebiet. Er ist auch Bürger, und deshalb geht ihn auch die Kommunalpolitik etwas an.“ Womit, wie wir wissen, nicht nur ein passives Interesse an kommunalpolitischen Entscheidungen und Weichenstellungen gemeint war, sondern aktive Einmischung und Mitgestaltung.

Mustergültig und ganz konkret hat Prof. Hans-Peter Dürr das im Bereich der kommunalen Energieversorgung der Stadt München vorexerziert: Er gehört seit Mitte der 80er Jahre als externes Mitglied der städtischen Energiekommission an, hat dort die Maßnahmen zur Energieversorgung Münchens kritisch begleitet und auch immer wieder sparsame und umweltfreundliche Alternativen aufgezeigt. Besonders ist hier natürlich die „SESAM“- Studie hervorzuheben, die Prof. Hans-Peter Dürr zusammen mit seinen Studenten erarbeitet hat, ein alternatives Konzept zur Erschließung und Nutzung einer „sanften“, „verträglichkeitsorientierten“ Energie für München.

Als Vordenker und Vorkämpfer für eine humane Wissenschaft und eine friedenspolitische und ökologische Neuorientierung, der fachliche Kompetenz, persönliche Integrität und öffentlichkeitswirksames Auftreten perfekt vereint, ist Prof. Hans-Peter Dürr für viele – auch weit über München hinaus – ein Vorbild geworden.

Zahlreiche hochkarätige Auszeichnungen wurden ihm dafür verliehen:

1987 war das der Alternative Nobelpreis („Right Livelihood Award“) für seine fundierte Kritik der Strategischen Verteidigungsinitiative und seine Arbeit, hochentwickelte Technologien für friedliche Zwecke nutzbar zu machen.

Dann 1995 der Friedensnobelpreis, der damals an die internationale Pugwash-Organisation und damit auch an Prof. Hans-Peter Dürr als deren deutschen Repräsentanten ging.

2002 kam z. B. die Auszeichnung als „International Scientist of the Year“ durch das International Biographical Centre in Cambridge,

2004 das Große Bundesverdienstkreuz hinzu.

Auch in München wurde Prof. Hans-Peter Dürr vielfach geehrt:

1989 mit dem Waldemar-von-Knoeringen-Preis,

1991 mit der Natura Obligat Medaille der Universität der Bundeswehr,

1992 mit dem Umweltpreis der Aktionsgemeinschaft „Rettet den Münchner Norden“,

am 12. Februar 1996 mit der Medaille „München leuchtet ....“ in Gold.

„Meine erste Münchner Erinnerung“, so hat Prof. Hans-Peter Dürr bei dieser letzten städtischen Ehrung gesagt, „ist die Festansprache meines Lehrers Werner Heisenberg zur 800-Jahr-Feier 1958.“

Und das dürfte denn auch eine durchaus positive Erinnerung sein. Schließlich hat Werner Heisenberg unsere Stadt damals, 13 Jahre nach Kriegsende, schon wieder in den höchsten Tönen gerühmt: etwa als Stadt, „die sich mehr als irgendeine andere Industriestadt der Welt darum bemüht habe, der Technik ihre menschliche Seite abzugewinnen“, als Stadt, „in der sich die Wissenschaft vor allem durch eine menschliche Unmittelbarkeit und Lebendigkeit auszeichnet“, als Stadt, „die weiterhin allem Neuen aufgeschlossen bleibt und die Früchte der Toleranz ernten wird“.

So oder so ähnlich lassen sich die Vorzüge Münchens auch heute beschreiben. Und dies ist zu einem guten Teil auch Prof. Hans-Peter Dürr mit zu verdanken. Er hat sich als brillanter Wissenschaftler und durch sein beispielgebendes zivil-gesellschaftliches, friedenspolitisches und ökologisches Engagement auf vielfältige und herausragende Weise um München verdient gemacht: um München als international renommierte Wissenschaftsstadt ebenso wie als Stadt mit hohem friedens- und umweltpolitischen Anspruch, die heute mehr denn je auf ein Klima der Weltoffenheit, auf das gedeihliche Miteinander einer multikulturellen, multiethnischen und multireligiösen Stadtgesellschaft, auf internationale Zusammenarbeit und auf eine Politik der Nachhaltigkeit setzt.

Der Münchner Stadtrat hat deshalb dem einvernehmlichen Votum des Ältestenrats entsprechend beschlossen, Prof. Hans-Peter Dürr das Ehrenbürgerrecht zu verleihen.

Dass ihm als Brückenbauer zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft diese Ehrung gerade in dem Jahr zuteil wird, in dem die Stadt ihren 850. Geburtstag unter dem Motto „Brücken bauen“ feiert, ist dabei eine besonders glückliche Fügung.

Und damit ist die Freude noch umso größer, Prof. Hans-Peter Dürr heute zur höchsten Auszeichnung seiner Wahlheimatstadt München herzlich beglückwünschen zu können.

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